RAILHOO-Report

Die Werksbahn des Bochumer Vereins

Entstehung des Werkes
Die Geschichte der Bochumer Stahlindustrie reicht zurück in die erste Hälfte des letzten Jahrhunderts, als der Schwabe Jacob Mayer Versuche anstellte, das englische Monopol für Gußstahlerzeugnisse zu brechen. 1836 sind seine Bemühungen endlich von Erfolg gekrönt und führen schließlich 1843 in Zusammenarbeit mit Eduard Kühne zur Gründung der Gußstahlfabrik Mayer und Kühne in Bochum. Der gewählte Standort hat zwar den Nachteil ungünstiger Transportwege, doch entscheidet man sich aufgrund der bedeutenden Vorkommen hochwertiger Steinkohle und des ebenfalls ortsansässigen Bergamtes dennoch für Bochum.

Die Besonderheit der 1850 zum Stahlformguß weiterentwickelten Gußtechnik Jacob Mayers ist darin zu sehen, daß sie im Gegensatz zum englischen Verfahren die Herstellung kompletter Großteile in einem Guß ermöglicht - für den Bau von Lokomotiv- und Turbinenkomponenten, Eisenbahnzubehör, den Glockenguß (einem bedeutenden Standbein der Bochumer Produktion) und später auch für Kanonen ein bedeutender Qualitätsfortschritt! Selbst gegen den übermächtigen Konkurrenten Krupp im benachbarten Essen, der bereits vor Mayer brauchbaren Gußstahl nach englischem Vorbild herstellen konnte, kann man sich so dauerhaft am Markt behaupten. Dem Bochumer Werk öffnet sich besonders im boomenden Eisenbahngeschäft ein unabsehbarer Markt- das Unternehmen floriert und muß expandieren, womit allerdings das private Kapital schnell aufgebraucht ist. Mayer und Kühne sehen sich gezwungen, ihren Betrieb in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln: ab 1854 heißt das Werk Bochumer Verein für Bergbau und Gußstahlfabrikation.
Die Eisenbahn kommt
Als 1860 die Bergisch-Märkische Eisenbahn von Witten aus Bochum erreicht und sich hier ausbreitet, reagiert der Bochumer Verein umgehend: am 11.12.1867 geht der Bahnanschluß an die bereits seit 1862 zunächst als Zechenbahn betriebene Linie Bochum - Riemke (-Herne) in Betrieb. Endlich verfügt man über angemessene Transportwege, die eine Produktion im industriellen Maßstab überhaupt erst ermöglichen!

Das Vordringen der Rheinischen Eisenbahn Essen-Nord - Ueckendorf - Bochum-Nord - Hoerde auf Bochumer Gebiet (in unmittelbarer Nähe zum Gelände des Bochumer Vereins!) befreit das Werk aus dem Beförderungsmonopol der Bergisch-Märkischen Eisenbahn - der zweite Anschluß, diesmal an den neuen Bahnhof Bochum-Präsident (nicht identisch mit dem gleichnamigen heutigen Anschluß!), geht 1874 in Betrieb.

Die Inbetriebnahme der Hochöfen ab 1876 sorgt für zunehmenden Verkehr, nicht zuletzt durch den Mehrbedarf an Kohle. In nur kurzer Zeit bindet man daher auch die konzerneigenen Zechen an das Werksbahnnetz an: 1877 reichten die Gleise vom eigentlichen Stammgelände bis zu den in Eppendorf und Höntrop liegenden Bergwerken Maria, Anna und Steinbank III und IV (Grubenfeld seit 1868 im Besitz des Bochumer Vereins), die parallel dazu bereits seit längerem über eine direkte Anbindung an die unmittelbar vorbeiführende BME verfügen.
Erweiterung des Gleisnetzes
Die nächsten Erweiterungen des Gleisnetzes erfolgen nach verschiedenen Übernahmen und Fusionen: 1899 übernimmt der Bochumer Verein den in unmittelbarer Nachbarschaft gelegenen kleinen Konkurrenten "Gesellschaft für Stahlindustrie" (unmittelbar nördlich vom alten Bf. Bochum Hbf), ebenfalls 1899 gelangt die Zeche Engelsburg in B.V.-Besitz. Die neue Gleisverbindung über BV-Gleise verlegt man im Zuge des umfassenden Ausbaus der Schachtanlage 1908-1910. Die Zeche Carolinenglück, die über den bereits bestehenden, aber stilliegenden Anschluß der Zeche Präsident an die Köln-Mindener Eisenbahn ("Carolinenbahn") angebunden werden kann, folgt 1900. Da die alte Carolinenbahn jedoch nicht direkt ins Werksgelände führt, ist ein gesonderter Anschluß bald schon unerläßlich. Insgesamt steht damit ein ca.50 km langes normalspuriges Gleissystem in Betrieb, das als Besonderheit einen kurzen Zahnradabschnitt (System Abt) im Werksteil Stahlindustrie (in unmittelbarer Nähe zum sogenannten Kosthaus an der heutigen Bessemerstraße) und ein ausgedehntes Schmalspursystem aufweist. Die Betriebswerke und Werkstätten, darunter ein Ringlokschuppen, befinden sich unmittelbar am BME-Anschluß, in etwa dort, wo heute der Bahnsteig des Hp. Bochum-West am Rotlichtviertel endet.

Die Zechen Maria, Anna und Steinbank III und IV geben bereits 1904 ihren Betrieb auf - die Bergbehörden hatten wiederholt ein umfassendes Modernisierungsprogramm angemahnt, welches auf längere Sicht jegliche Gewinnaussichten der ohnehin nicht übermäßig rentablen und mehrfach knapp vor der Stillegung stehenden Grube zunichte gemacht hätte. Die rund 1000 von der Stillegung betroffenen Bergleute werden in der Stahlproduktion weiterbeschäftigt. Für den Transport der Kumpel zu ihren neuen Arbeitsplätzen bleibt die alte Zechenbahn für einige Jahre für werksinternen Personenverkehr in Betrieb!
Zwischen den Kriegen
Das Ende des ersten Weltkriegs bringt das vorläufige Ende der Rüstungsproduktion mit sich: Die Einrichtungen zur Herstellung von Kriegsmaterial werden auf alliierte Anweisung 1919 vernichtet. Mit der Besetzung des Ruhrgebiets durch französische und belgische Truppen kommt der Hütten- und Bergwerksbetrieb 1923 zeitweise vollständig zum erliegen, trotzdem erfolgt 1921-24 der Neubau eines modernen Martinwerks und eines Röhrenwalzwerks in Höntrop. Kurz danach, 1926, schließen sich die wichtigsten Stahlkonzerne des Ruhrgebietes zum Megakonzern "Vereinigte Stahlwerke" zusammen. Im Zuge der anfallenden Konzentrationsmaßnahmen legt man mehrere Werksteile in Bochum still, doch wird von den Westfälischen Stahlwerken die in Weitmar gelegene Rombacher Hütte übernommen und zum Schienenwalzwerk ausgebaut. Das Streckennetz erfährt hierdurch abermals eine beträchtliche Ausdehnung, denn dies bedeutet nicht nur den Zugang der großen Werksbahnhöfe, vielmehr entsteht 1927 eine Neubaustrecke von Höntop nach Weitmar. Hierzu bedient man sich der ehemaligen Anschlußbahn der Zeche Maria, Anna und Steinbank und zweigt die neue Strecke unmittelbar hinter der Brücke unter der Staatsbahnstrecke Bochum - Steele (heute S1) in weitem Bogen nach Osten ab. Der bestehende Übergabebahnhof der Rombacher Hütte zur Reichsbahn (ungefähr am heutigen Hp. Bo-Ehrenfeld gelegen) bleibt bestehen. Frühestens in die Mitte der 30er Jahre fällt der Bau der Verbindungsbahn vom nunmehrigen Werk Weitmar zum DR-Bahnhof Bochum-Weitmar. Günstigerweise kann man hierzu auf die nahegelegene Anschlußbahn der 1928 stillgelegten und mittlerweile ebenfalls in BV-Besitz übergegangen Zeche General zurückgreifen, die bloß noch durch ein kurzes, ca. 1,5 km langes Neubaustück angebunden werden brauchte. Ob man auf einen leichteren Zugang zu den Zechen im Weitmarer Raum spekulierte, oder vielmehr im Hinblick auf den Krieg eine relativ bombensichere Abfuhrstrecke im Sinn hatte, muß im Rahmen dieser Arbeit offen bleiben, sicher ist jedoch, daß die Strecke in der Nachkriegszeit kaum noch eine Bedeutung hatte.

Insgesamt stehen bis zum zweiten Weltkrieg vier getrennte Werksteile (und mehrere Zechen) in Betrieb, die alle miteinander verbunden sind und zusätzlich über jeweils eigene Übergabebahnhöfe verfügen.

1921 entschließt sich die Werksleitung zur Elektrifizierung des Werksbahnnetzes. Nach Werksbahnen Phönix in Ruhrort und Meiderich und der Mannesmannwerke in Duisburg-Huckingen versprach man sich auch hier vom elektrischen Betrieb erhebliche Vorteile: im Vergleich zum Dampfbetrieb erhoffte man sich eine 50 - 75 %ige Kostenersparnis - womit man freilich dann doch ganz erheblich danebenlag.... Möglicherweise sollten diese viel zu optimistischen Prognosen auch im Rahmen einer gezielten Vermarktungsstrategie gesehen werden: durch das Ende der Rüstungsproduktion benötigte der Bochumer Verein einen neuen Produktionssektor und versuchte - allerdings mit nur geringem Erfolg - die Ausfälle durch den Einstieg in die Herstellung von Eisen- und Straßenbahnfahrzeugen zu kompensieren. Neben einigen bereits hergestellten Waggons für Klein- und Privatbahnen hatte man hierzu bereits seit 1886 Erfahrungen in der eigenen Fabrik für Feldbahnmaterial sammeln können. Nun also versuchte man, in Zusammenarbeit mit SSW elektrische Werksbahnlokomotiven auf den Markt zu bringen. Es darf angenommen werden, daß mit der Elektrifizierung der eigenen Werksbahn und dem Einsatz selbstgebauter Lokomotiven ein Referenzbetrieb ins Leben gerufen werden sollte - und möglicherweise die Zahlen entsprechend schöngerechnet wurden. Zwischen 1924 und 1938 verließen folglich 17 Lokomotiven der Bauart Bo und 5 der Bauart BoŽBoŽ die Bochumer Werkshallen. Aus der Oberleitung bezogen die Maschinen 600 V Gleichstrom, daneben wurde für nicht-elektrifizierte Gleise in Hallen und unter Kränen eine Fahrbatterie mit 360 V eingebaut. Bis zum 2.Weltkrieg wurden nicht weniger als 90km Gleis mit einer Oberleitung überspannt. Die einzigen nennenswerten Strecken ohne Oberleitung waren die Anschlußbahn zum Staatsbahnhof Weitmar und die 1928/29 in Betrieb gegangene, aufwendig auf einem hohen Damm trassierte Erzbahn zum Kanalhafen Grimberg in Gelsenkirchen-Bismarck - auch weiterhin mußten Dampfloks, darunter mindestens zwei E-gekuppelte Tenderloks von Henschel (Nr.77 / 78), im Bochumer Bestand bleiben!

Zwischen 1930 und 1934 konnte man nach größeren Neutrassierungen im Bereich der heutigen Kohlenstraße den aufwendigen Zahnradbetrieb zwischen Werk Bochum und Werk Stahlindustrie aufgeben. 1937 schließlich wurde als vorläufig letzte Erweiterung der direkte Anschluß an den Bochumer Hbf eingeweiht. Diese sogenannte "Gußstahlstrecke" verlief vom bisherigen Anschlußgleis parallel zur bestehenden Hauptbahn Riemke - Bochum und mündete direkt in den Rangierbahnhof westlich des Hauptbahnhofs. 1944 wurde dieser Abschnitt bei einem Luftangriff schon wieder vollständig zerstört und ist danach nicht wieder aufgebaut worden.
Die Nachkriegszeit
Nach dem langwierigen Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Werksanlagen erfolgte 1955 der Bau eines Oxygenstahlwerks in Höntrop. Nach dementsprechendem Umbau der Bochumer Gleisanlagen konnte das Roheisen ab 1957 daraufhin direkt von den erheblich vergrößerten Hochöfen auf die Höntroper Strecke gebracht werden. Ins gleiche Jahr fällt der Zugang der ersten zwei Dieselloks, die den im Zuge der Hochofenvergrößerung stark angestiegenen Verkehr auf der Hafenbahn bewältigen sollten.

Die nicht zum Bochumer Verein gehörenden Stahlwerke Bochum am benachbarten Bahnhof Bo.-Nord profitierten ebenfalls von den erweiterten Hochofenkapazitäten und wurden ab 1960 per Bahn mit Roheisen beliefert. Hierzu mußte ein eigenes Anschlußgleis an die DB-Strecke Bo.-Präsident - Bo.-Nord verlegt werden, aus dem später der heutige (einzige) Anschlußbahnhof Präsident hervorgegangen ist. Das ursprüngliche Übergabegleis verlor in der Folge jegliche Bedeutung und liegt heute brach.

Der Zusammenschluß des Bochumer Vereins mit der zum Krupp-Konzern gehörenden Hütten- und Bergwerke Rheinhausen AG 1960 (ab 1965 dann auch offiziell unter dem Namen Fried.Krupp Hüttenwerke AG), brachte den Anfang vom Ende: Zwar zweigte man 1961 noch ein Gleis von der Hafenbahn zu den Kruppzechen Hannover und Hannibal ab, doch blieb das Unvermeidliche nicht aus: Wie bei jeder Fusion im Montanbereich wurden "überzählige" Werksteile stillgelegt, und nun sollte sich die ungünstige Lage Bochums rächen. Bis 1968 traf es die Hochöfen und den größten

Teil des Werks Weitmar; fast alle übrigen Werksanlagen der Vorkriegszeit und auch das Oxygenstahlwerk erwischte es dann spätestens bis in die 80er Jahre. Die nicht mehr benötigte Weitmarer Verbindungsbahn nach Höntrop benutzte man nur noch zum Abtransport der Abbruchtrümmer und überließ sie dann sich selbst. Bis Anfang der 80er Jahre wurde in Weitmar noch gelegentlich Material, darunter Schrottloks der DB, für den kümmerlichen Restbetrieb angeliefert, doch erfolgte dies ausschließlich direkt über die Bundesbahn.

Die inzwischen überalterten elektrischen Lokomotiven wurden angesichts des dramatisch gesunkenen Verkehrs mit einem Schlag entbehrlich und wurden zwischen 1968 und 1977aus dem Verkehr gezogen und ausnahmslos verschrottet. Ohne Hochofen sank auch die Hafenbahn zur Bedeutungslosigkeit herab. Nachdem sie nur noch sporadisch befahren wurde und auch auf der neuen Verbindungskurve zur Zeche Hannover nach deren Stillegung 1973 jeglicher Verkehr entfiel, wurden bis Anfang der 90er Jahre die brachliegenden Gleise (teilweise illegal!) abgerissen. Die ebenfalls über die Hafenbahn angeschlossene Zeche Carolinenglück wurde bereits 1964 geschlossen.

Der Werksbahnbetrieb verlagerte sich ab 1969 schwerpunktmäßig nach Höntrop. Hier entstanden nach und nach ein neues Breitbandwalzwerk, eine Stranggußanlage und in jüngster Zeit eine Feuerverzinkerei. Angesichts der neuen Bedeutung der Höntroper Werksanlagen wurde 1987 ein leistungsfähiger 12gleisiger Rangierbahnhof in Betrieb genommen. Hierhin läuft heute fast der gesamte Bahnbetrieb; auch der alte Lokschuppen konnte somit stillgelegt und verlagert werden. Das Anschlußgleis zur 1961 eingestellten Zeche Engelsburg hat den Umbau der Höntroper Gleisanlagen bis heute überlebt - als Zufahrt zur werkseigenen Umspannanlage freilich ohne regelmäßigen Verkehr. Daneben läuft auch im ehemaligen Werk Bochum noch ein schwacher Restbetrieb: Neben der als Lagerhalle benutzten alten Wellenmontage an der Alleestraße wird ein kleiner Rest im Werksteil Stahlindustrie (hier befand sich lange Zeit der Weichenbau und eine Spaltanlage) und vor allem der aus dem Krupp-Konzern ausgegliederte und zu den "Vereinigten Schmiedewerke GmbH VSG" (seit 1998 wieder Bochumer Verein Verkehrstechnik; besteht ein Zusammenhang mit dem Unglück von Eschede ???) mutierte Radsatzbau bedient.

Der Zusammenschluß von Krupp und Hoesch hatte für den Bahnbetrieb erhebliche verwaltungstechnische Folgen: der gesamte Bahnbetrieb in Bochum wurde zum 1.7.94 aus der direkten Verantwortung Krupps entlassen und mitsamt Fahrzeugen, Gleisanlagen und Personal in die Dortmunder Eisenbahn integriert. Trotz der umfangreichen Stillegungen der 60er und 80er Jahre werden immerhin noch 52,1 km Gleisanlagen betrieben.


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