RAILHOO-Report

Mit der Eisenbahn von Dortmund nach Hagen

Wer mit der Eisenbahn umsteigefrei von Dortmund Hbf nach Hagen reisen möchte, hat die Wahl zwischen 3 Verbindungen. Am schnellsten ist der IC. Die Gesamtstrecke über die Verbindungskurve Langendreer und Witten legt er ohne Zwischenhalt in nur 19 Minuten zurück. Die S-Bahn (S 5) benötigt für die 31 km auf den Gleisen der ehemaligen Bergisch-Märkischen Eisenbahn über Witten und Wetter schon 31 Minuten. Und wer noch zwei Minuten Fahrzeit mehr genießen möchte, sollte den kürzesten, jedoch landschaftlich, technisch und historisch interessantesten Weg wählen: die nur 24 km lange Strecke der ehemaligen Rheinischen Eisenbahn über Herdecke (KBS 434, RB 52). Von 4.33 Uhr bis 20.33 Uhr fahren stündlich Diesel-Triebwagen (Talent) der Dortmund Märkischen Eisenbahn (DME) von Dortmund Hbf, über die Haltestellen Westfalenhalle, Tierpark, Kirchhörde, Löttringhausen, Wittbräucke und Herdecke nach Hagen Hbf, wo sie nach einer Fahrzeit von 33 Minuten eintreffen.


Wie reiste man in der Nachkriegszeit auf dieser Strecke?
Der damals 12 jährige Fahrschüler erinnert sich:
Es ist bitterkalt in diesem Winter 1946/47, der als kältester im ganzen Jahrhundert gelten wird. Zu Fuß geht es zum Südbahnhof. Auf den Straßen ist es dunkel und still. Ruinen und Berge von Trümmerschutt säumen den Weg. Überall sind noch die Schäden auszumachen, die der letzte große Luftangriff am 12.3.1945 vor allem im Bereich des Südbahnhofs angerichtet hat. Das Empfangsgebäude mit seinem Treppenaufgang am Heiligen Weg ist völlig zerstört. Es erscheint wie ein Wunder, daß das markante Wasserturm-Hochhaus schräg gegenüber nur geringe Schäden aufweist. Ein Raum im Anbau unter dem architektonisch geschickt verdeckten Lokomotivschuppen ist notdürftig zur Fahrkartenausgabe hergerichtet. Ein kleines Fenster zur Straße dient als Fahrkartenschalter. Die Bahnsteige erreicht man über die gewundene Rampe gegenüber dem zerstörten früheren Aufgang. Fahrkartenkontrolle ist an einer hölzernen Bude am Ende der Rampe.

Der aus acht bis zehn Personenwagen der preußischen Bauart C 3 und D 3 und einigen geschlossenen Güterwagen gebildete Zug nach Herdecke steht schon bereit. Bespannt ist er mit einer Güterzuglokomotive der Baureihe 57 (preuß. G 10) vom Bahnbetriebswerk Dortmund-Süd, ein häufiger Ersatz für eine planmäßig vorgesehene Personenzuglokomotive der Baureihe 38 (preuß. P 8). Zwischen den Wagen zischt weißer Dampf aus den Kupplungen der Heizleitungen. Die Glasscheiben der meisten Wagenfenster sind durch Bleche ersetzt - nur ein kreisrundes mit Glas abgedecktes kleines Loch in Augenhöhe erlaubt den Blick nach draußen. Einigen Abteilen bringen die Glühstrümpfe der Gasbeleuchtung ein trübes Licht, die anderen bleiben dunkel. Die Rohre der Dampfheizung unter den Sitzbänken rauschen und spenden dem verfrorenen Fahrgast angenehme Wärme.

Kurz vor der planmäßigen Abfahrt läuft drüben auf dem "westfälischen" Bahnhofsteil der Zug von Soest über Welver nach Mülheim-Speldorf ein. Einige Reisende hasten über die Brücke zum Zug nach Herdecke. Dann ist es soweit: am Ausfahrtsignal hebt sich der Flügel und pünktlich um 7.11 Uhr, so wie es das Kursbuch der britischen Zone - gültig ab 6.1.1947- vorsieht, gibt der Aufsichtsbeamter mit Pfeife und Kelle den Abfahrtsauftrag. Langsam setzt sich der Zug in Bewegung. Aus den geöffneten Zylinderhähnen zischen weiße Dampf-Fontänen. Nach wenigen Treibradumdrehungen schließt der Lokführer die Hähne der nun genügend vorgewärmten Zylinder, das Zischen verstummt und der gleichmäßige Auspuffschlag der beschleunigenden Lokomotive setzt sich lautstark durch.


schadhafte Loks im Gleisvorfeld
Entlang des Güterbahnhofs wird das Ausmaß der Kriegsschäden besonders deutlich. Ungezählte Bombentrichter unterbrechen die Gleise. Ausgebrannte Güterwagen und schadhafte Lokomotiven huschen vorbei. Auf eingleisiger Strecke, vorbei an Haus- und Schrebergärten, geht es leicht bergan in einen Einschnitt. Nach Unterfahren des Ruhrschnellwegs ist die vorerst höchste Stelle der Strecke erreicht, der Lokführer schließt den Regler, die Auspuffschläge verstummen. Mit dem Dreiklang-Geklacker von Tender und Wagen auf den Schienenstößen geht es nun bergab in Richtung Hörde.

Vor der Bahnschranke in der Märkischen Straße warten einige Fußgänger, als der Zug über Straßenbahngleise poltert. Der hier von manchen Reisenden erwünschte Haltepunkt "Dortmund-Kluse" ist noch nicht eingerichtet, das wird erst 1954 geschehen. So geht es ohne Halt weiter. Nach einigen hundert Metern führt ein kurzer Damm mit zwei Durchlässen die Strecke hoch über das Tal der Emscher. Gleich anschließend ragen beiderseits der Strecke zwei massive Ziegelstein-Pfeiler hoch auf. Sie tragen die Bögen und den Fachwerkträger für die Schlackenbahn des Stahlwerks "Phoenix". Das weite Gebiet des Güterbahnhofs gegenüber den Hochöfen bietet einen trostlosen Anblick: zwar sind die Gleisanlagen kaum zerstört, aber vollgestellt mit ausgebrannten Personen- und Güterwagen.

Die Auspuffschläge der Lokomotive setzen wieder ein, es geht wieder bergan. Auf der linken Seite zieht ein Bahnhof vorbei. Er hieß einmal "Hörde-Hacheney", hier halten jedoch schon seit 30 Jahren keine Züge mehr. Noch knapp zwei Kilometer, dann ist der erste Halt im Bahnhof "Dortmund- Brünninghausen" erreicht. Auch hier zeugen die langen Bahnsteige von der einstigen Bedeutung der Strecke.

Der Gegenzug läßt nicht lange auf sich warten. Er ist gut besetzt. Verständlich: wohnen doch jetzt viele Menschen im Dortmunder Süden, die Arbeitsstätten jedoch liegen im Norden und in der Stadtmitte, wo bis zu 95% der Wohnungen zerstört sind. Die kurz vor Einmarsch der US Army Anfang April 1945 gesprengte Bahnbrücke über die Zillestraße ist inzwischen wieder aufgebaut und so kann die Fahrt zum nächsten Haltepunkt "Dortmund-Kirchhörde" ohne Umsteigen weitergehen. Spätestens bei der Weiterfahrt nach Löttringhausen bekommt der aufmerksame Reisende eine erste Vorstellung von den großen Schwierigkeiten beim Bau dieser letzten und kühnsten Strecke der Rheinischen Eisenbahn: bis zu 30 m mußte der Bahndamm aufgeschüttet werden.

In Löttringhausen vergehen ein paar Minuten mit Warten auf den Anschlußzug. Eine Tenderlokomotive der Baureihe 78 (preuß. T 18) bringt eine geradezu abenteuerliche Garnitur verschiedener PlattformWagen über den "Rheinischen Esel" von Bochum Langendreer.

Von Löttringhausen aus ist die Strecke zweigleisig. An Zeche "Gottessegen" vorbei führt sie in einen immer tiefer werdenden Einschnitt. Dann verschluckt der 944 m lange Tunnel unter dem Varstenberg den Zug. Schon nach kurzer Zeit ist kein Tageslicht mehr auszumachen, und erst nach einigen Minute erscheint das "Licht am Ende des Tunnels". Grund für dieses Phänomen: die Tunnelachse ist eine S-Kurve mit einer langen Zwischengeraden und engen Bögen an den Enden. Der Scheitelpunkt der Strecke liegt im Tunnel unter der Wasserscheide von Emscher und Ruhr. Über dem Schlußstein des Südportals prangt in Sandstein der Name des Bauwerks "Ender Tunnel", und links und rechts davon die Initialen des Erbauers "R" und "E" für Rheinische Eisenbahn.

Bald ist der nächste Haltepunkt "Wittbräucke" erreicht. Der lange Mittelbahnsteig erinnert an die vielen Ausflügler, die in der Vorkriegszeit von hier aus die beliebte Wanderung zur Hohensyburg unternahmen. Entlang des Herdecker- und Ender Mühlenbaches sind es dann nur noch gut zwei km bis Herdecke, dem Endpunkt der Strecke, wo der Zug planmäßig um 7 Uhr 50 einläuft.

Für die 15,6 km ab Dortmund-Süd betrug die Fahrzeit 39 Minuten, das ergibt eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 24 km/h. Zu Fuß geht es weiter, vorbei an den Trümmern des noch kurz vor Kriegsende völlig zerstörten Herdecker Bahnhofs. Auf dem Weg durch den Ort zur Notbrücke über die Ruhr erscheint flußabwärts die Silhouette des 1945 gesprengten Herdecker Viadukts. Die letzten Kilometer bis nach Hagen kann der Reisende entweder mit der Hagener Straßenbahn oder der Eisenbahn ab Hagen-Vorhalle zurücklegen.
Anmerkungen
1.)
Die Eisenbahnstrecke Dortmund-Süd - Hagen
wurde von der Rheinischen Eisenbahn-Gesellschaft in zwei Abschnitten eröffnet: der erste Abschnitt ist der letzte Teil der Osterath-Hoerder-Bahn und konnte am 12.09.1875 in Betrieb genommen werden. Der andere Abschnitt ist Teil der letzten und kühnsten Bahnstrecke der Rheinischen Bahn:
Düsseldorf - Wuppertal - Dortmund
Eröffnung :
Hoerde-Hacheney - Hagen Rh. Bahnhof 15.05.1879
(Hagen - Düsseldorf 15.09.1879)
Verstaatlichung der Rheinischen Bahn: 01.01.1880 danach Verwaltung und Betrieb durch KPEV Unterbrechung der Strecke wegen Zerstörung des Herdecker Viadukts 17.5.1943 Bau der Verbindungskurve Dortmund-Westfalenhalle - Do.-Brünninghausen 1957 durchgehender Verkehr DO Hbf - Herdecke - Hagen Hbf -Ennepetal-Altenvoerde 1. 6.1958, anschließend Abbau des Streckenabschnitts Dortmund-Süd - Brünninghausen. Trasse ist heute teilweise Wander- und Radweg, teilweise überbaut (Kapitelwiese), teilweise überwachsen, teilweise Industriegebiet (Phönix West).
2.)
Personenwagen
der Bauart C3 und D3 sind 3-achsige Wagen mit Seitenwandtüren, Oberlichtern und durchgehenden Trittbrettern, die noch von der königlich-preußischen Eisenbahnverwaltung (KPEV) vor 1920 in großen Stückzahlen beschafft wurden und an die Reichsbahn übergingen. Wagen der Bauart C3 sind Wagen 3. Klasse mit 6 Abteilen mit körpergerechten Bänken aus Eschenholzleisten und 6 Außenwandtüren auf jeder Seite. D3-Wagen dagegen haben 3 Großraumabteile für Reisende mit Traglasten der früheren 4. Wagenklasse, nur 3 Außentüren auf jeder Seite und Bänke aus einfachen glatten Brettern. Die technische Einrichtung beider Wagentypen ist weitestgehend gleich:
genietetes Untergestell auf 3 Achsen, hölzernes Gerippe, innen mit Holz, außen mit Blech verkleidet. Handbremse am Wagenende von innen oder von einem außen angebauten Bremserhäuschen zu bedienen, 2 Aborte, Dampfheizung, Ölgas-Beleuchtung.
3.)
Der Eisenbahnviadukt bei Herdecke
beeindruckt nicht nur durch seine Größe, sondern auch durch seine Linienführung, die Baukonstruktion, die materialgerechte solide Bauausführung und seine landschaftsprägende Gestaltung. Bemerkenswert ist auch die tragische Geschichte dieses wohl bedeutendstes Bauwerks im ganzen Netz der Rheinischen Eisenbahn.
Zeittafel :
1839Gründung der "Rheinischen Eisenbahn-Gesellschaft" (RE)
01.09.1841Eröffnung der RE-Stammstrecke Coeln – Aachen - Herbesthal (Grenze zu Belgien)
12.09.1875Eröffnung des letzten Teilstücks Dortmund RE – Hoerde (Hacheney) der Osterath - Hoerder Bahn
1875 – 1878Bau des Ender Tunnels und des Viaduktes bei Herdecke
15.05.1879Eröffnung der Strecke Hoerde – Hagen RE (17,97 km)
01.01.1880Verstaatlichung der RE (1.347 km) Königliche Eisenbahn-Direction Coeln – linksrheinisch
1923Betriebsruhe auf dem Streckenteil Löttringhausen – Hagen infolge der Ruhrbesetzung
1928Beginn der Bauarbeiten für den Harkort-See Sicherung der Viadukt-Fundamente in der Ruhr durch Steinpackung
1935Grundsanierung des Viadukts, insbesondere Abdichtung und Injektionen
1941Sicherung der Viadukt-Fundamente durch Spundwände und Betonummantelung
17.05.1943Möhne-Katastrophe
 0.45 Uhr: Dammbruch
12.30 Uhr: höchster Wasserstand in Herdecke
13.45 Uhr: Pfeiler 7 und Bögen 7 und 8 stürzen ein
1943/44Wiederaufbau durch OT
07.04.1945Sprengung einer Lok auf dem Viadukt
12.04.1945Sprengung von Pfeiler 4, - Einsturz von Bögen 4 und 5
22.10.1951Beginn des Wiederaufbaus (Fa. E. Züblin, NL Duisburg)
22.11.1952Verkehrsübergabe
02.06.1957Nahverkehrszüge Dortmund Hbf – Ennepetal-Altenvoerde (ET 150)
28.05.1967Wendezugbetrieb Dortmund Hbf – Lüdenscheid (V 100)
08.05.1999Übernahme des SPNV Dortmund – Lüdenscheid durch DME ("Talent")

Bautechnische Daten :
Länge :313 m
Breite :8m
Höhe über Wasserspiegel :SO - MW = 117,08 – 87,75 = 29,33 m
Radius :380 m
Steigung :1 : 100
Baustoffe :Ziegelmauerwerk für Pfeilerkerne, Gewölbe, Stirnmauern Ruhrsandstein ("Herdecker Graue") für die Verblendung
Baustoff-Masse :24.400 cbm ~ 54.000 to
12 Öffnungen je 20 m lichte Weite
3 Gewölbe-Gruppen mit je 4 Öffnungen
2 Gruppenpfeiler (Nr. 4 und 8)
9 Zwischenpfeiler (Nr. 1, 2, 3, 5, 6, 7, 9, 10, 11), davon 2 Strompfeiler mit Mienenvorrichtung (Nr. 5 und 6)
Quellen:
- Julius Mohr: "Der Viadukt der RE über das Ruhrtal" in "Zeitschrift für Baukunde" Bd. IV, 1881
- Hans Ulrich Hake "Brückenschläge", Stadtarchiv Wetter 1995


Eduard Erdmann, Dortmund den 17.11.2002


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